Die Ausstellung 100 Meisterwerke des Nationalmuseums Kyjiwer Gemäldegalerie möchte Kunstliebhaber und Fachleute in aller Welt mit der Sammlung eines der bekanntesten und ältesten Kunstmuseen der Ukraine bekannt machen.
Am 12. November 1922 wurde das Nationalmuseum Kyjiwer Gemäldegalerie eröffnet. Dass in Kyjiw solch reiche Kunstschätze vorhanden waren, lag am Aufschwung des kulturellen Lebens der Stadt Ende des 19. bis zum Anfang des 20 Jahrhunderts. Die Kyjiwer sammelten Kunst, organisierten Ausstellungen, darunter die der Genossenschaft für künstlerische Wanderausstellungen, sie gründeten ein erstes Städtisches Museum. Unter den privaten Sammlern nahm die Familie Tereschenko einen besonderen Rang ein. Die Tereschenkos waren Industrielle, Mäzene und Philantropen. Ihre Sammlungen aus den 1870er bis 1880er Jahren wurden Grundlage vieler bekannter Kyjiwer Museen. Die Villa von Fedir Tereschenko im Zentrum von Kyjiw beherbergt das Nationalmuseum Kyjiwer Gemäldegalerie.
Die Sammlungen von Nikola, Ivan und Fedir Tereschenko, die in die Kyjiwer Gemäldegalerie gelangten, zeichneten sich nicht nur durch ihren Umfang, sondern auch durch ihre Qualität aus. Zu den wichtigsten Beständen zählen die Werke der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, insbesondere die Gemälde der Wanderer. Die Gesellschaft für künstlerische Wanderausstellungen war eine Vereinigung von Künstlern des Russischen Reiches. Ende des 19. Jahrhundert entstanden, war sie zu einer Zeit aktiv, als die Tereschenkos ihre Kunstsammlungen aufbauten. Sie sammelten vor allem zeitgenössische Kunst, darunter so berühmte Maler wie Illia Repin, Archyp Kuindzhi, Ivan Kramsky, Mykola Yaroshenko und andere.
Damals gab es in Kyjiw noch weitere bedeutende Sammlungen, zum Beispiel die der Mäzene Oskar Hansen, Bohdan und Varvara Khanenko und die Sammlung der Zeichenschule des Künstlers und Pädagogen Mykola Murashko. Auch daraus gelangten im Laufe der Zeit viele Kunstwerke in die Kyjiwer Gemäldegalerie. Außerdem wurden ihr Arbeiten aus anderen Institutionen der Stadt übergeben, darunter das ehemalige Städtische Museum und das Kunstkabinett der Kyjiwer Universität. Auch der nach der Russischen Revolution gegründete Museumsfonds der damaligen UdSSR sandte Kunstwerke vom Ende des 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts in die Ukraine.
Ebenfalls im Besitz des Museums sind monographische Sammlungen der Arbeiten von Ivan Aivazovsky, Mykola Ghe, Mykhailo Vrubel und anderer herausragender Künstler. Die Sammlungen spiegeln die Wege dieser Maler in der Kunst und die Vielseitigkeit ihrer künstlerischen Herangehensweisen.
Ab 1939 bildete sich die Sammlung zeitgenössischer Kunst und Kunst der nationalen Schulen heraus. Derzeit besitzt das Museum eine große Anzahl von Werken bekannter Künstler aus dem Baltikum, dem Kaukasus und aus Transkaukasien, aus Mittelasien und Moldawien. Die Museumsfonds bestanden aus Arbeiten vom 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts.
Bereits zu Beginn der 1940er Jahre beherbergte das Museum eine der bedeutendsten Kunstsammlungen der damaligen UdSSR. Der Zweite Weltkrieg fügte ihr immensen Schaden zu. Ein Großteil der Werke war 1941 evakuiert worden. Doch der in Kyjiw verbliebene Teil erlitt ein tragisches Schicksal – er wurde von den deutschen Besatzern aus der Ukraine abtransportiert und ins Königsberger Schloss gebracht. Als ein alliierter Luftangriff das Schloss zerstörte, wurden alle Kunstwerke, die sich in seinen Kellern befanden, vernichtet. Insgesamt verlor das Museum rund 1500 Arbeiten, darunter Werke von Ivan Aivazovsky, Archyp Kuindzhi, Mykola Ghe, Ivan Kramsky und Mykhailo Vrubel sowie Werke der altrussischen Kunst und einzigartige ostslawische Ikonen des 15. und 16. Jahrhunderts. Zur Wiederherstellung der Sammlung trugen in der Nachkriegszeit der Ankauf von Werken durch Sonderkommissionen sowie gezielte Ankäufe aus Ausstellungen sowie von Sammlern, Künstlern und ihren Familien bei.
Eines der bedeutendsten Ereignisse in der Geschichte des Museums ist die testamentarisch verfügte Schenkung des Kyjiwer Arztes David Sigalov im Jahre 1986, durch die es rund 400 Gemälde und Zeichnungen vom Ende des 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts erhielt: Zinayida Serebriakova, Alexandre Benois, Mykhailo Vrubel, Martiros Saryan, David Burliuk und andere. Es handelt sich um den größten Zugang aus privatem Besitz.
Ständig erweiterte sich die Sammlung von Kunst des 20. Jahrhunderts, wozu die aktive Ausstellungstätigkeit des Museums, staatliche Ankäufe und der Kontakt zu den Künstlerinnen und Künstlern beitrugen. Besonderes Augenmerk galt dabei bedeutenden Werken bekannter Maler wie Oleksandr Tyshler, Serhiy Shyshko, Tetiana Yablonska, Serhiy Grygoriev, Viktor Ryzhykh oder Halyna Neledva.
Seit der Unabhängigkeit der Ukraine unterstützt das Museum Ausstellungen zeitgenössischer ukrainischer Künstler. Großangelegte Ausstellungen dienten nicht nur der Erforschung des ukrainischen künstlerischen Raums, sondern ergänzten wesentlich die Sammlung des Museums, indem sie die Kunst der unabhängigen Ukraine würdig präsentierten. Darüber hinaus sicherten Ankäufe den Aufbau einer Sammlung zeitgenössischer Kunst. So präsentiert das Museum heute die Kunst der unabhängigen Ukraine, darunter Werke von Anatoliy Kryvolap, Tiberiy Szilvashi, Mykola Matsenko, Oleh Tistol, Matviy Vaisberg und anderer für die Ukraine wichtiger Künstler.
Derzeit zählt die Sammlung des Nationalmuseums Kyjiwer Gemäldegalerie über 14 000 Exponate aus der Zeit der Kyjiwer Rus bis zur zeitgenössischen ukrainischen Kunst. Sie umfasst viele Länder und Perioden, vielfältige Richtungen und Stile, Künstlergruppen und Vereinigungen und gibt damit die Möglichkeit, sich eine Vorstellung von Geschichte und Entwicklung der Kunst in den Ländern Osteuropas zu machen.
Das Museum ging daran, seine Sammlung im Kontext der Dekolonisation neu zu bewerten. Eine der Richtungen des wissenschaftlichen Tätigkeit des Museums ist die Revision der russisch-imperialistischen Version der Kunstgeschichte und die Rückkehr zu nationalen kulturellen Errungenschaften, welche Russland sich angeeignet hat. Der Teil der Museumssammlung mit den Werken von Künstlern, die auf dem Territorium Russlands und des Sowjetimperiums gearbeitet haben, ist ein schwieriges, schmerzliches Erbe und erfordert eine Neuinterpretation.
In der gegenwärtigen Situation des in der Ukraine andauernden Kriegs ist es aus Sicherheitsgründen nicht möglich, Besuchern die Kunstwerke zu zeigen. Die Online-Ausstellung 100 Meisterwerke des Nationalmuseums Kyjiwer Gemäldegalerie erlaubt nicht nur, eine breite internationale Öffentlichkeit mit der Sammlung des Museums bekannt zu machen, sondern an seinem Beispiel auch vom Reichtum der Museumssammlungen der Ukraine und ihrer Kultur zu erzählen, die heute von Vernichtung bedroht sind.